Skip to content

er nannte mich krasni

Transkript einer gefundenen Kassette

Alles, was ich einmal war, ist nur das, woran ich mich erinnern kann. Nichts davon ist übrig als meine Erinnerung daran. Aber ich werde niemals vergessen, was ich einmal war. Denn ohne meine Erinnerung wäre das, was ich bin, weniger als nichts. Darum also erinnere ich mich: Mein Name ist Dean. Am Morgen des 25. Mai 1981 war ich noch ein glücklicher Mann. Ein New Yorker, der stolz darauf war, zu New York’s finest zu gehören und das Abzeichen der NYPD zu tragen. Ein glücklicher Mann, der zu seiner Frau heimkehren konnte, am Morgen nach der Streife. Ich hatte mich mit Junkies, Betrunkenen und Arschlöchern herumgeschlagen, zwei Leichen aus einem Müllcontainer geklaubt und war verdammt müde. Aber all das bedeutete nichts mehr, denn ich war dabei, zu Linda nach Hause zu kommen. Allein der Gedanke an den Duft ihrer Haare und die Aussicht, neben ihrem warmen Körper liegend einzuschlafen, während ich dem Gang ihres Atems lausche, tauchte mich in ein Glücksgefühl, dass alles von mir Abwusch: den ganzen Schmutz der Stadt, den ich die Nacht über in meiner Seele angesammelt hatte. Als ich die Wohnungstür öffnete, schlug mir für einen Moment ein Gestank entgegen wie der Hauch tausender verzeifelter, verwesender Seelen, die an mir vorbei aus der Wohnung flüchteten. Er brachte alle Erinnerungen an den Abschaum der Straßen zurück und machte aus mir auf der Stelle wieder einen Cop und ich tat, was ich als Cop zu tun hatte. Ich zog meine Dienstwaffe und tat den ersten Schritt in den ersten Kreis der Hölle, die für mich vorbereitet worden war.
Vorsichtig bewegte ich mich durch die Wohnung. Wir waren erst zwei Wochen vorher eingezogen, und in den Zimmern stand ausser einigen Kartons noch nicht so viel. Es gab nichts in der Wohnung, was von Wert gewesen wäre – ausser meiner geliebten Linda, meinem Herzblut. Und das hatten sie genommen. Ihren Körper fand ich im Schlafzimmer. Dort lag er auf dem Bett: bleich, blutleer, mit einer klaffenden, handtellergroßen Wunde am Hals. Das Gesicht strahlte das genaue Gegenteil von friedvollem Dahinscheiden aus. In den Handflächen waren Wunden zu sehen, wo sich die Fingernägel im Todeskampf in die Haut gebohrt hatten. Ein Bein war gebrochen, Haare ausgerissen, ein Fuß zertrümmert. Nur Blut war keines zu sehen – kein Tropfen. Der Körper war wie ausgesaugt und das ganz sauber. Ich rief meine Kollegen von der Polizei. Sie kamen, nahmen mit, was von meiner geliebten Frau übrig geblieben war, und schworen mir, das Schwein zu finden, das sie auf dem Gewissen hat. Sie taten alles, Tag und Nacht, aber heute weiss ich, dass sie scheitern mussten. Und dass sie der Wahrheit niemals nahe kommen konnten. Denn man muss mehr als scheitern, um die Wahrheit erkennen zu können.
Zwei Jahre nach dem Tod von Linda hatte ich alles, was normalen Leuten das Leben bedeutet, verloren: Job, Wohnung, Frau. Ich lebte in einem Loch in der Lower East Side, und alles, was ich besass war ein Satz Klamotten, eine Knarre und ein Radio, mit dem ich den Polizeifunk empfangen konnte. Alles, was ich noch tat, war Polizeifunk zu hören und zu warten, bis das Schwein sich nocheimal aus dem Loch wagte. Bis dieser blutgierige Triebtäter wieder einmal seiner Besessenheit nachgehen musste.
Das Warten zahlte sich aus: eines Nachts erwischte ich im Polizeifunk eine 10-34: ein Officer schrie wie ein Wahnsinniger, eine Bestie habe gerade eine kreischende, blutende Frau über die Motorhaube seiner Karre geschleift. Dann verlangte er Verstärkung und verließ den Wagen. Passiert war das Ganze keine zwei Blocks von meiner Bude entfernt. Schnell war ich am Tatort: einer verlassenen Seitenstraße zwischen hohen Backsteinhäusern, vollgestellt mit Mülltonnen. Die Straße war am anderen Ende blockiert von dem Streifenwagen, der Motor lief noch, aus dem Funkgerät waren aufgeregte Stimmen zu hören. Die Feuertreppen und gusseisernen Zäune vor den Abgängen warfen tiefe Schatten. Im herabprasselnden Regen brach sich das Licht der Scheinwerfer des Streifenwagens. Der Officer schrie nicht mehr: er hing aufgespiesst auf einem der Eisenzäune, sein Blut mischte sich auf dem Boden mit dem Abfällen und dem Regen. Zuckend, sterbend, sah er mit an, wie ein Typ in Abendklamotten einer jungen Lady in den Hals biss. Von seinem Partner war nirgendwo was zu sehen. Ich zog meine Knarre, schrie pro forma „Freeze“ oder irgend so einen Mist und drückte ab. Ich weiss nicht mal, ob ich ihn getroffen habe. Denn fast gleichtzeitig wurde mir die Knarre aus der Hand gedroschen, ich flog hinterher und knallte mit dem Rücken gegen das Eisengitter, von dem der Officer baumelte. Meine Hand war gebrochen, über mein Rückgrat wollte ich noch gar nicht nachdenken. Über mir stand dieser Typ in Abendklamotten. Er starrte mich an, mit glühenden Augen, aus einem Gesicht wie mit dem Meissel geschlagen. Dann öffnete er den Mund und ich sah seine Zähne. Lange, blutverschmierte Fangzähne. Er griff mich am Kragen und hob mich hoch. Aus seinem Maul schlug mir ein fauler Geruch entgegen. Der Gestank von tausend Seelen, die in seinem Inneren verwesten und um Gnade schrien jedes Mal, wenn er den Mund öffnete. Mit einer Stimme wie Samttuch sprach er zu mir: „Ich kenne dich.“ Dann hob er mich weiter in die Höhe, und war so weit, mich neben dem Bullen auf die Stäbe zu spießen, als Sirenen heulten und die Nebenstraße grell von Autoscheinwerfern erleuchtet wurde. Der Typ war weg, bevor noch ein weiterer Regentropfen den Asphalt erreicht hatte. Ich fand mich auf dem Boden wieder und meine Ex-Kollegen besorgten den Rest. Aber einen Blick konnte ich noch werfen auf die Lady. Sie war tot. Sie hatte eine klaffende, handtellergroße Wunde an ihrem Hals. Und sie war blutleer. Da wusste ich – ich habe ihn gefunden. Und ich kenne sein Gesicht.
In den nächsten Wochen klapperte ich mit einer Beschreibung und einer Zeichnung die gesamte Lower East Side ab. Ich hatte Zeit – und ich wusste, dass ich ihn irgendwann aufspüre. Jeder hinterlässt Spuren.
In einer chinesischen Wäscherei wurde ich fündig. Als ich bei denen das erste Mal mit der Beschreibung aufkreuzte, schmissen sie mich raus. Also passte ich eine Zeit ab, zu der die alte Mutter allein war im Laden. Zuerst versuchte ich es auf die nette Tour, aber ich musste schon schwer einsteigen, um irgendwas aus ihr raus zu kriegen. Letztlich weiss ich nicht, ob es die Knarre war oder mein Körpergeruch, der sie zum reden brachte, aber sie erzählte mir, der Mann sei ein guter Kunde. Viele Hemden. Gute Hemden. Oft blutverschmiert. Keine Lieferadresse. Aber immer Freitag er kommt. Und sie zischte noch ein Wort hinterher, dass ich nicht verstand: „Xiang Shi“.
Am nächsten Freitag, dem 19. Oktober 1983, stellte ich mich in eine dunkle Ecke gegenüber der Wäscherei, dankbar für den Regen, der den Dreck aus meinen Klamotten wusch, ohne dass ich dafür zu bezahlen hatte. Ich musste warten bis tief in die Nacht, dann tauchte er auf. Er kam, brachte Hemden, ging wieder, und ich heftete mich an seine Fersen. Dabei hatte ich Mühe, ihn nicht zu verlieren – obwohl er sich bei aller Eleganz wie gebremst bewegte. Seinen Bewegungen haftete eine unwirkliche Schwerelosgkeit an. Sie waren genauso makellos wie seine Kleidung, genauso makellos wie die Manieren, mit denen er sich durch das Gewühl der Straßen manövrierte. Ich folgte ihm den ganzen Weg bis zur Upper West Side. Dort verschwand er im Hauseingang einer großen Stadtvilla. Dass die Tür offen stand, hätte mir eigentlich eine Warnung sein müssen.
In die Villa gelangte man durch zwei Türen. Die erste führte in einen winzigen Vorraum. Von dort aus bot die zweite Zugang zur Diele. Ich schlich mich hinein und sah mich in der Diele um. Durch ein Oberlicht und durch zwei Fenster links und rechts neben der Tür fiel etwas Licht von den Straßenlaternen ein. Links gab es eine Tür zu einem großen Raum, rechts begann ein Stück weiter hinten die Treppe in die oberen Stockwerke. Von dem Typen war nichts zu sehen, nichts zu hören, nichts zu riechen. Das erste, was ich wieder von ihm mitbekam war seine Hand, die mich am Genick packte und die Treppen hinauf zerrte, als wäre ich eine halbvolle Einkaufstüte. Auf diese Weise brachte er mich in eine großes Zimmer im zweiten Stock, wo er mich auf einem Stuhl deponierte.
„Ich kenne dich.“ Er hauchte mir die Worte ins Gesicht, scharf wie Viscious Viper und mit einem Akzent, den ich auf den Straßen oft zu hören bekommen hatte. Er klang wie viele dieser Mafiaimporte aus Sizilien – und wieder schlug mir dabei der Geruch tausender schreiender Seelen ins Gesicht. „Was willst du von mir,“ hauchte er.
„Du hast meine Frau getötet.“
„Ich habe viele getötet. Wie war ihr Name?“
„Linda.“
Er nickte: „Weißt du, was mit ihr geschehen ist?“
„Sie ist tot.“
Mit einer Hand fuhr er mir über den Hals: „Und du wirst jetzt erfahren, wie sie gestorben ist. Das wird dir Frieden geben.“
Er zog mich vom Stuhl runter, schleifte mich über den Flur ins Bad, riss mir meine maroden Klamotten vom Leib, steckte mich in die Badewanne. Ich versuchte, zu entkommen, stemmte mich hoch, hatte ein Bein draussen. Aber er war mit unglaublicher Geschwindigkeit über mir und stiess mich zurück. Dann kam das Wasser aus dem Duschkopf, alles wurde glitschig und sehr kalt. Er warf mir Seife zu, und ich wusch mich. Zum ersten Mal seit Monaten richtig. Er warf mir ein Handtuch zu. Ich stieg aus der Wanne und trocknete mich ab, schätzte die Entfernung ein und warf es ihm zu. Zugleich begann ich zu rennen, durch die Tür des Bades hinaus in den Flur zur Treppe. Weiter kam ich nicht. Er packte mich – von vorne! – nahm mich und schmis mich auf das Bett, dass in der einen Ecke des Raumes stand. Mit Handschellen fesselte er mich an Armen und Beinen ans Bettgitter. Dann verschwand er mit den Worten: „Nur noch ein wenig Geduld.“
Ich sah mich um. Der Raum war leer bis auf das Bett. Zwei große, offene Fenster waren an der einen Wand gegenüber der Tür. Gardinen hingen keine davor und schwere Eisengitter waren nach innen aufgeschwungen. So konnte ich ungehindert hinaussehen, auf die dunklen Fenster des gegenüberliegenden Hauses. Da ich keine Chance hatte, dem Fenster irgendwie näher zu kommen, begann ich, zu schreien. Das war eine ruhige Wohngegend. Wenn ich genug Lärm machte, würde schon jemand aufmerksam werden. Aber keine 10 Sekunden später war er wieder bei mir, legte den Finger auf die Lippen und stopfte mir mit der anderen Hand mein zusammengeknäulten, nasses, stinkendes T-Shirt in den Mund. Dann verschwand er wieder und liess mich allein mit dem Blick auf die Fenster seiner ruhig schlafenden Nachbarn.
Als er wiederkam, hatte er Lilly im Schlepptau. Sie kennen Lilly noch nicht. Ich kannte sie damals auch noch nicht.
„Ich habe für dich angerichtet,“ sagte er zu ihr, und deutete auf mich. „Damit du endlich lernst, wie es geht, habe ich es etwas einfacher gemacht für dich, Lillith.“

LILLY
„So heiss ich nicht. Mein verdammter Kackname ist Lilly! Ohne „TH“ (ist sehr feucht auszusprechen). Klar? Scheisse – Borghese war ein verdammtes Arschloch, eins von diesen reichen weissen Arschlöchern die die Gesellschaft in den verfickten Ruin treiben und alles kaputt machen und alle nur benutzen. Mich wollte er auch benutzen. Ich sollte sein Püppy sein, seine LilliTH. Mit manieren und dem ganzen Scheiß. ER wollte mir beibringen wie ich SAUBER ESSEN kann. ER hat nichts kapiert. Nichts. Nichts von dem geilen Spaß, den man haben kann.

DEAN
Lilly. Süsse Lilly. Böse Lilly, mit spitzen roten Haaren, kleinen, spitzen Titten und spitzem Grinsen im Gesicht. Mit ihrem drahtigen Körper, den geschmeidigen Bewegungen und den sportlichen Klamotten, die sie trug: ein Unterhemd mit aufgenähtem Adler und Shorts. Sie wollte nicht das Happie, dass ihr auf dem Bett drapiert angeboten wurde. Sie tobte und schrie. Aber dann war sie plötzlich still. Sie schnüffelte, horchte, und dann machte sie einen Satz aus dem Fenster hinaus auf die Straße. Kurz darauf erschien sie wieder im Fensterrahmen. Wie ein Raubvogel sass sie auf dem Sims, mit der einen Hand hielt sie sich am Rahmen fest, mit der anderen Hand hielt sie etwas, das unter ihr baumelte und sich zu wehren schien. Dann sprang sie ins Zimmer und warf ihre Beute auf den Boden: soweit ich das erkennen konnte, war es ein mexikanisch aussehender Junge von vielleicht 17 Jahren, der als Pizzalieferant unterwegs war. Er strampelte nach Leibeskräften und versuchte ihr, sein Butterfly in den Körper zu rammen, aber sie drückte ihn einfach zu Boden und biss ihm in den Hals. Das Blut spritzte ihm aus der Wunde, spritzte auf ihre Klamotten, auf den Boden, sogar bis an die Wand, nur nicht in ihren Mund. Der Typ, den ich verfolgt hatte, nahm ihn ihr weg und legte ihn auf den Boden. Die Blutung stillte er mit meiner Hose, er riss dem Jungen einen Ärmel vom Hemd und bot ihn Lilly dar. Er bedeutete ihr, ganz vorsichtig und langsam ihre Zähne in die Adern zu versenken und zu saugen.

LILLY

Der kleine Chico war vielleicht mein fünfter oder sechster Versuch. Ich war noch frisch dabei. Es ist nicht so einfach, wenn man plötzlich seine Ernährung völlig umstellen muss. Da spritzt es halt mal ein bisschen, wenn man noch übt. Aber dieser kleine Chico war richtig lecker. So ein ganz süsser, der nie aufgibt. Als ich fertig war, schnappte Borghese sich den armen Kleinen und brachte ihn an einen Ablageplatz, den er angemessner fand. Verdammte Scheiße, er war so verdammt ordentlich. Er hatte Angst vor dem verdammten Scheißestablishment. Was ein Kack!

DEAN
…und du bist bei mir geblieben. Sie kam zu mir herüber und beugte sich über mich, nahm mir den Knebel ab. Direkt vor meinem Gesicht öffnete sie ihren Mund und zeigte mir ihre Zähne. Die Eckzähne waren zu langen, spitzen Fangzähnen mutiert, die vorderen Zähne blitzten mich messerscharf und blutverschmiert an. Ihrem Mund entwich auch der Gestank verwesender Seelen. In ihren Augen leuchtete ein heisser Tod. Sie senkte ihren Mund über meinen, ließ mich ihre Zähne spüren und ihre Zunge. Dann bewegte sie ihren Kopf an meinem Körper herab. Ich spürte ihre Zunge und die Zähne über meiner Kehle und auf meiner Brust. Um meinen Nabel beschrieb sie Kreise mit der Zunge. Dann glitt sie weiter herab, berührte mit ihren spitzen, roten Haaren meinen Penis und führte den Mund an der Innenseite meiner Schenkel entlang. Dort wurde ihre Berührung fester. Mit den Lippen und der Zunge spannte sie meine Haut und presste ihre Zähne dagegen, ohne sie zu durchstossen. Ich fragte sie: „Was tust du?“

LILLY
Ich will ein bisschen mit dir spielen. Und ich bin noch hungrig.

DEAN
Hungrig? Was willst du?

LILLY
Ich will dein Blut. Ich bin eine Vampirin.

DEAN
Sie sah mich dabei mit Stolz in den Augen an und richtete sich auf. Zum Beweis und weil sie es klasse fand, riss sie ihren Mund auf und tat dann so, als wollte sie ihre Zähne in mein Fleisch schlagen. Ich zuckte zurück und sie lachte laut los, keckernd. Sie hüpfte vor Freude auf dem Bett auf und ab, fauchte wie eine Raubkatze und schnellte dann wieder vor mein Gesicht. Ich fragte sie: „ist er auch ein Vampir?“

LILLY
Du wolltest wissen, ob Borghese ein Vampir ist. Klar ist er einer. Er hat mich gemacht. Borghese hat mich in einer Disco aufgeklaubt und zu seiner Queen der Nacht gemacht. Mann, er hatte ja keine Ahnung, was er sich damit einhandelt. Kuck mal, was ich alles kann…

DEAN
Und sie sprang vom Bett herunter – vier Meter weit bis zur gegenüberliegenden Wand. Dann war sie durch das Fenster nach draussen, kuckte dann von oben wieder rein und raste quer durchs Zimmer und durch die geschlossene Tür hinaus, die zersplittert und durchlöchert im Rahmen hängen blieb. Nach noch ein paar Flic-Flacs stand plötzlich Borghese mitten im Zimmer und hielt sie fest. Sie konnte soviel Zappeln und Kreischen wie sie wollte: er presste sie gegen die nächste verfügbare Wand und sagte nur zwei Sätze zu ihr: „Morgen lernst du, wie man sich benimmt. Und jetzt gehst du zur Ruhe.“ Dann zerrte er sie hinaus – hinunter in den Keller, wie ich jetzt weiss, in einen fest verschlossenen Bleisarg. Dann kam er zurück, schloss die Fenster und steckte mir mein T-Shirt wieder in den Mund. „Die Erlösung muss noch warten,“ hauchte er mir zu. Mein Hass, ihn töten zu wollen, schnitt tief in meine Gelenke, dort, wo die Fesseln mich zurück hielten. Dann verschwand er und liess mir einen ganzen Tag Zeit darüber nachzudenken, was ich mit ihm und seiner Art anfangen wollte. Ich glaubte keinen Moment daran, dass dieses Bett mein Ende sein sollte. Aber ich brannte darauf, sein Ende zu sehen. Wenn er mir Erlösung verschaffen wollte, war das der einzige Weg.
Als er in der kommenden Nacht mit Lilly zurück kam, konnte ich in ihrem Gesicht etwas von dem Hass sehen, den ich empfand. Und ungebremsten Durst. Aber die Fenster waren jetzt mit den schweren Eisengittern verschlossen, die Tür blockierte Borghese. Er stiess sie zu mir herüber. Sie landete auf mir und fauchte mich an. Ich konnte spüren, dass sie nach dem Blut gierte, dass nur wenige Millimeter von ihren Zähnen entfernt durch meine Adern pumpte. Aber ich konnte auch spüren, dass ihr Hass auf Borghese noch größer war als ihr Durst.
Ich flüsterte ihr ins Ohr: „Ich will ihn vernichten. Hilf mir, und du bist frei.“

LILLY
Ich verstand erst überhaupt nicht, was er wollte. Und ich hatte einen so verdammten Durst. Er lag da und ich musste nur zulangen. Dieser Durst ist schlimmer als jeder Affe, den man sich vorstellen kann. Alles brennt in einem, ist schlimmer als mit Kater in der Wüste und meilenweit kein Wasser, kein Schatten kein gar nichts. Und du weißt genau: du musst nur zubeissen, dann füllt sich dein Mund mit dem Blut von der armen Sau vor dir, er krepiert, hats endlich hinter sich, und du bist wieder ganz oben, die Welt gehört wieder dir. Das alles spukt dir wie eine Bande von Presslufthämmern im Kopf rum, und dann schlägt dir dein Abendessen plötzlich einen Deal vor, wie du mit Problem Nummer zwei, dem Riesenarschloch, dass dir dein untotes Leben versaut, fertig werden kannst. Mann – scheisse, ich dachte, ich muss jetzt erstmal in Ruhe was trinken, sonst kann ich nicht klar denken. Schon gar nicht mit Arschloch Borghese im Nacken, der mich mit seinem immer schön vorsichtig endgültig auf die Palme brachte. Aber seine Hand legte sich um meinen Hals und drückte mich langsam zum Oberschenkel von Dean hier herunter, als wäre ich zu bescheuert, selber das Ziel zu finden. Der Duft von dem Typen trieb mich zum Wahnsinn. Ich konnte schon sein Blut riechen und endlich liess Borghese ein bisschen locker und ich konnte Dean hier meine Zähne durch die Haut bohren – schön vorsichtig, klar? Schon der erste Schluck ist das Himmelreich. Wenn der heisse Saft dir in den Mund fliesst und sofort aufgesaugt wird, dir in die Glieder fährt wie der geilste Trip, dann ist das EINFACH NUR GEIL!
Als ich so trank und relaxte, dämmerte mir erstmal, was Dean hier eigentlich gesagt hatte. Borghese loszuwerden wäre eine verdammte Verbesserung der verdammten Situation, so wie ich das sah. Besser jetzt als später. Vielen Dank für den Start, aber jetzt Tschüss, war alles, was ich noch zu sagen hatte. Verdammt nochmal, das war eine Sache, die jetzt aber gleich zu klären war. Ich spürte, das ich genug hatte, und ließ ab von Dean hier. Borghese grinste mich an und sagte so was von der Sorte „Siehste es geht doch.“ Für mich brachte es jedenfalls das Fass zum Überlaufen. Ich ging auf ihn los – Dean hier sagt immer „wie eine Furie“ – und holte mir von ihm erstmal einen Schlag ab, der mich quer durchs Zimmer direkt auf Dean hier schleuderte. Der stöhnte auf, mehr tot als lebendig. Borghese sagte dann nochwas von „trink aus, und wir reden weiter,“ und machte sich davon. Dachte wahrscheinlich, ich würde jetzt wieder loslegen und Hackfleisch machen aus Dean hier.

DEAN
Ich spürte meinen Körper nicht mehr, ich hörte nur noch einen übermächtigen Pulsschlag, der aber mehr nach einer Totenglocke klang als nach einem sich aufbäumenden Lebenswillen. Alles um mich herum war schon weit entfernt, vergessen, eine Ahnung, nichts, was mich noch interessierte, und nur in schwarz-weiss. Ich war auf dem Weg nach dem Draussen, alles lag hinter mir, weit hinter mir, wo auch irgendwo noch das Verlangen brannte, Borghese zu vernichten, aber den Flammen schaute ich ohne Interesse zu. Dann spürte ich etwas auf meinen Lippen, was wie ein Farbschimmer war in der schwarz-weiss Übertragung. Unendlich langsam lief mir dieser Tropfen in den Mund, verschmolz mit mir, brachte mir Wärme zurück. Alles was ich nun noch für mich gab, war diese Quelle über meinem Mund. Auf den zweiten Tropfen wartete ich mit gieriger Angst, den dritten holte ich mit der Zunge ab und dann saugte ich mich fest an der Quelle, saugte so viel sich mir bot. Heiß floss der Saft in mich, füllte mich aus, schüttelte mich. Als er tief in mich gedrungen war, schwappte eine Welle der Übelkeit durch mich hindurch, eine Flut aus Dreck, die alles aus mir fortspülte und eine kühle, starke Hülle zurück ließ, die sich langsam mit dem heissen Saft füllte. Ich sah nun, was geschehen war: Lilly kniete auf meinem Brustkorb. Sie hatte die Adern an ihrem Handgelenk für mich geöffnet und ihr Blut strömte in mich hinein. Dann griff sie mit ihrer anderen Hand nach dem blutenden Handgelenk und entriss es mir. Erschöpft fiel sie von mir herunter und landete neben dem Bett. Ich hörte ihr Herz schlagen. Es schlug mühsam gegen etwas an, aber wurde wieder stärker. Und ich hörte leises Atmen, leise schlürfende Geräusche – und ich erinnerte mich daran, was mein letzter Wunsch gewesen war. Es war eine überraschend einfache Bewegung, sich vom Bett zu erheben. Dass ich gefesselt gewesen war, daran erinnerten mich die Handschellen, die zerrissen an meinen Gelenken baumelten. Lilly taumelte wieder auf die Beine und grinste. Dann ging sie voraus.

LILLY
Ich hatte mich mein Leben lang noch nicht so brennend fokussiert gefühlt, geleert von allem unnötigen Ballast, wie in dem Moment, als Dean hier vor mir stand, erfüllt von dem selben Blutschimmer wie ich, von meinem Blutschimmer! und ich wusste, dass es dem alten Borghese jetzt an den Kragen gehen würde. Mein ganzes Leben nich, und danach auch nich. Geil – ich fühlte mich wie eine Klinge so scharf und sauber, und ich wusste genau, was jetzt zu tun war. Mehr noch: Ich wusste, wo ich das alte Arschloch jetzt finden konnte, um das zu tun, und ich brachte Dean hier hin. Count Borghese stopfte sich um die Zeit nämlich immer selber voll – ganz fein unten im Esszimmer. Und da stand er auch, neben einer seiner wohlgenährten, bescheuerten Ladies, die er sich im Keller hielt. Der Schnalle war auf dem großen Tisch festgezurrt, aufgeputzt in einem piekfeinen Abendkleid mit tiefem Ausschnitt und viel Platz am Hals. Am Kopf und den Füssen standen Kerzenleuchter, auf dem Tisch lag natürlich die feine Tischdecke. Arschloch Borghese beugte sich über sie und schlabberte ihr das Blut weg, und die arme Sau kuckte zu uns rüber, wie wir ins Zimmer reinkamen, in den Augen Panik und die wahnsinnige Hoffnung, wir würden ihr noch irgendwie das armselige Leben retten. Scheisse. Die lernens nie. Borghese kriegte natürlich was mit und kuckte zu uns hoch. Und der Rest war die geilste Show, die je erlebt habe: lebendig oder tot.

DEAN
Als er sich über diese Frau beugte, und sie zu uns hinüberstarrte, mit diesem zersplitterten Hilfeschrei im Blick, verstand ich, was mit Linda geschehen war. In grellen, heissen Bildern lief es vor mir ab: wie er ihr gefolgt war, wahrscheinlich von dem Hamburgerschuppen, wo sie auch ein paar Kröten verdiente. In der Wohnung lauerte, bis sie im Bett war, dann sich zu ihr ins Bett legte, sie berührte und sie sich mit meinem Namen auf den Lippen umdrehte zu ihm und aufwachte, weil sie den Pesthauch roch. Wie er sie packte und sie sich wehrte, wie er ihr die Knochen brach um sie endlich unter seine Gewalt zu bringen und er ihr blutgeil und hemmungslos den Hals aufriss um sie auszusaufen und ihr den letzten Tropfen Leben zu nehmen. Ich sah nicht diese Frau, ich sah Linda, wie sie starb, unrettbar verging, und ich alles was ich noch wollte, war diesem Monster das ganze Blut, das er ihr gestohlen hatte, wieder aus dem Körper zu holen. Ich sprang auf ihn zu, er wich mir aus. Aber mich anzugreifen hatte er keine Chance, denn Lilly holte ihn mit einem gezielten Tritt von den Füssen. Er schlug sie weg, sie flog quer durch den Raum, aber das Gleichgewicht konnte er trotzdem nicht halten und stolperte zu Boden. Ich griff mir einen der schweren, silbernen Kerzenleuchter und rammte ihn mit den drei Kerzen zuerst Borghese in den Brustkorb. Seine Knochen brachen, als das Silber in ihn eindrang, und sofort füllten sich die Krater, die ich geschlagen hatte, mit Blut. Dickflüssig quoll es heraus, wie ein Lebewesen, dass seiner schützenden Schale beraubt worden war und sich über den Boden ergoss. Borghese riss sich den Kerzenhalter aus der Brust und taumelte auf die Knie. Sein Blick verengte sich. Er versucht, sich zu erheben und glitt aus, immer mehr Blut quoll ihm aus der Brust. Auf alle viere gestützt fauchte er mich von unten an. Ich konnte noch sehen, wie er seine Fingernägel tief in die Holzbohlen des Bodens gruben, und im selben Moment spürte ich ihn auf mir. Er grub mir die Finger in den Hals. In seinen Augen brannte eine Gier, nicht zu verenden. Das Blut aus seiner Brust ergoss sich über mich. Ich spürte, dass seine Hände dabei waren, meine Kehle auf zu reissen, als ich Lillys Hände sah, die sich um seinen Kopf legten, zupackten und ihn herumrissen. Borghese sackte zusammen und glitt von meinem glitschigen Körper herunter. Ich stand auf, zitternd, wachsam. Aber Borghese regte sich nicht mehr.

LILLY
Endlich war er still. Aber das war mir ehrlich gesagt nicht genug. Ich wollte ihn ganz aus der Welt schaffen. Dean hier hatte da nix gegen. Also schoben wir die Schnalle runter vom Tisch und hoben Borghese drauf. War nicht witzige – war ja alles voll Blut und total glitschig. Als wir ihn drauf hatten, holte ich was von dem Lampenöl aus dem Keller. Borghese stand überhaupt nicht auf elektrisches Licht. Kerzen und Öllampen – das war sein Ding. Sollte er jetzt mal sehen, was er davon hat. Ich goss ihm die Brühe über den Anzug und dann zündeten wir das ganze an – was Dean? Das hat gebrannt!

DEAN
Vampire brennen wie Zunder. Wie der Haufen vertrockneter Knochen, der sie sind, wenn das ganze Blut aus ihnen raus ist. Er war sein eigener Scheiterhaufen, wie er da auf dem schweren Holztisch lag und verzehrt wurde von den Flammen, die mindestens so gierig waren auf ihn wie er auf das Blut seiner ganzen Opfer. Sie taten es für Linda – und für all die ungezählten, die ihr vorausgegangen und nachgefolgt waren. Sie verbrannten ihn zu Asche und Staub, der schließlich in einem langstreckten Haufen auf dem Tisch lag. Dann schwiegen die Flammen, deren wütendes Prasseln den Raum erfüllt hatte. Aber in mir wurde es nicht still. Ich schaute an mir herunter, betrachtete meine bleiche Haut, die milchig leuchtete im dunklen Zimmer, und begriff nun, was ich geworden war. Lilly kam zu mir, berührte mich und nahm meine Hand. Sie führte mich zu der Frau herüber, die Borgheses letztes Opfer gewesen war. Die Frau kauerte an der Wand neben der Tür in die Diele. Sie hatte schon zu viel Blut verloren, war zu schwach gewesen für eine Flucht, sie zitterte und starrte uns mir weit aufgerissenen Augen an. Lilly führte mich zu ihr herüber und kniete sich neben ihr auf den Boden. Lilly zog mich regelrecht herunter. Ich sollte trinken.

LILLY
Ich sah es dir doch an – du schobst nen Affen. Dabei hatte ich doch keine Ahnung, wegen welchem Scheiss du überhaupt hier warst und mir geholfen hattest, Borghese los zu werden. Mir war nur klar, dass du trinken musstest.

DEAN
Du hast sie mir regelrecht hin gehalten. Und ich roch die offene Wunde, den frischen Saft, ich roch ihr Leben. Zugleich sah ich ihren panischen Blick, die Nikotinflecken an den Fingern, die schlecht lackierten Nägel. Ich sah Linda vor mir liegen auf dem Bett, spürte den Hass in mir brennen und war zugleich heiss auf die Wunde, wollte meine Zunge hineinstecken und sie aussaugen. Alles in mir gierte danach, das Blut zu trinken und dann… ich drehte mich zu Lilly um und fragte sie: gibt es noch viele von seiner Sorte?

LILLY
Mann, du kannst Fragen stellen. Ich war ja selber erst ein paar Wochen dabei. Und dann kommst du und stellst mir sone Profifrage und kuckst mich an, als hinge davon alles ab. Keine Ahnung, verdammte Scheisse. Ich meine, klar! Ich nehme an, das es noch einen Haufen von seiner Sorte gibt. Arschlöcher waren noch nie knapp auf dieser Welt. Und blutsaugende Arschlöcher – warum sollte das da anders sein? Aber ehrlich: alles was ich wusste, war, dass Borghese mich einmal furchtbar angepfiffen hat, als ich ihm die selbe Frage gestellt hatte. Also ich meine: ja, es gibt noch eine ganze Menge von der Sorte.

DEAN
Nach einem Blick in deine Augen beugte ich mich zu der Frau hinunter. Ich trank von ihr – denn dazu war sie da. Sie starb in meinen Armen. Als ich aufstand, war mir klar, was nun zu tun war: ich schnappte mir die Asche und brachte sie dahin, wo sie hingehörte. Ein Teil landete in den Mülleimern der Straße, ein Teil in der Gosse, wo sie der Regen davonspülte. Dann schaute ich zum wolkenverhangenen Himmel hinauf. Lilly stand neben mir. Ich spürte den herannahenden Morgen, atmete die Luft der Stadt, horchte auf das pulsierende Rauschen. Ich konnte sie nicht hören, konnte sie nicht riechen, aber ich wusste, dass sie da draussen waren. Und das dieser Nacht noch viele folgen würden.

Cookie-Einstellungen